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Welttuberkulosetag – Interview mit Dr. Harald Hoffmann

Am 24. März ist Welt-Tuberkulosetag. Um das Bewusstsein für diese verheerende Krankheit zu schärfen, sprachen wir mit dem SYNLAB-Experten Dr. Harald Hoffmann, der den größten Teil seines Berufslebens der Entwicklung weltweiter Laborkapazitäten im Bereich Tuberkulose und mykobakteriologische Diagnostik gewidmet hat. Harald Hoffmann leitet das renommierte Institut für Mikrobiologie und Laboratoriumsmedizin, das Supranationale TB-Referenzlabor (SRL) der WHO in Gauting, Deutschland.

Die globale Bedeutung der Tuberkulose in Deutschland und der Welt bleibt hoch. Warum haben wir sie denn fast vergessen geglaubt?

Tuberkulose (TB) bleibt unverändert die Nummer Eins unter allen Seuchen, die den Menschen heutzutage heimsuchen. Es gibt sie vermutlich, seitdem es den Menschen gibt, und wird sie noch lange geben, wenn COVID-19 schon längst wieder in Vergessenheit geraten ist.

Das Mykobakterium tuberculosis ist der wichtigste Erreger der TB. Das Bakterium ist von einer Wachsschicht umgeben. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle tritt die Infektion zunächst in eine Phase der latenten, d. h. (symptomfreien) Infektion im neuen Wirt ein. Reaktivieren die Erreger, können sie alle Körperorgane inklusive der Nieren, Knochen und auch das Gehirn befallen. In ca. 80% besiedeln sie aber die Lunge. Die Patienten entwickeln alle Symptome klassischer Schwindsucht mit bleierner Müdigkeit, Schwächegefühl, Gewichtsverlust, Fieber, Husten und Luftnot. Unbehandelt führt die Krankheit in vielen Fällen zum Tod durch Auszehrung, Blutsturz (eine massive Einblutung in die Lunge mit anschließendem Ersticken), Sepsis oder Superinfektionen.

 

Wo ist die TB zu finden und wie wird sie übertragen?

Die Übertragung der Tuberkulose erfolgt ganz ähnlich wie die des SARS-CoV-2-Erregers in Aerosolen, d.h. in Nebeltröpfchen, die Patienten ausstoßen und andere Menschen einatmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass derzeit etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung den Erreger in sich trägt, ohne es zu wissen oder zu merken. 10 Mio. Menschen erkranken weltweit aktiv. Nur sie sind infektiös und verbreiten die Bakterien weiter.

Über 1,3 Mio. Patienten versterben pro Jahr an Tuberkulose. Damit ist die Tuberkulose die langfristig tödlichste Krankheit - auch noch lange nach Abflauen der COVID-Pandemie - mehr noch als AIDS.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtet zuletzt 4127 TB-Fälle für Deutschland (RKI 2021), was einer Inzidenz von 5 pro 100.000 Einwohnern entspricht. 90% der TB konzentriert sich auf Entwicklungs- und Schwellenländer. In Europa zeigen die Anrainerstaaten des Schwarzen Meers mit bis zu 75 neuen Fällen pro 100.000 Einwohnern und Jahr die höchste Inzidenz. Weltweit betrachtet werden fast die Hälfte aller TB Fälle in Südostasien und ca. ein Viertel im subsaharischen Afrika gefunden.

 

Sie sagen, die Übertragung der TB-Erreger sei SARS-CoV-2 ähnlich. Gibt es weitere Parallelen zwischen den Krankheiten?

Oh ja, die meisten Infektionsschutzmaßnahmen gegen COVID-19 waren bereits von der TB her bekannt. Aufgrund der ähnlichen Ansteckungswege konnten relativ schnell wirksame Maßnahmen von der TB-Bekämpfung übernommen werden. Masken schützen gegen infektiöse Aerosole - auch mit COVID-19 Erregern. Die Übertragung im Freien spielt eine nachgeordnete Rolle. Die meisten Infektionen finden im häuslichen Bereich statt.

 

Kann man von Tuberkulose wieder vollständig genesen?

Ja, die Tuberkulose ist prinzipiell heilbar. Bei der sensiblen Form werden die meisten Menschen innerhalb eines halben Jahrs geheilt. Von multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) – also einer Form der TB, bei der die Erreger gegen die wichtigsten Antibiotika resistent sind – werden in Deutschland etwa 90 Prozent geheilt. In den weitaus ärmeren Hochprävalenzländern, insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, sind bis zu einem Drittel der TB-Patienten mit multiresistenten Erregern infiziert. Dort beträgt die Heilungsrate aber nur 60 Prozent. Multiresistenz bezieht sich auf die beiden wichtigsten Antituberkulotika Rifampicin und Isoniazid.

Treten zusätzliche Resistenzen gegen wichtige Reserveantibiotika auf, spricht man von XDR-TB. Von ihr genesen nur noch 40%. Umgekehrt bedeutet das, dass 40% der Patienten mit MDR- und fast 60% mit XDR-TB langsam an der Seuche sterben. Viele Patienten leiden an langwierigen Komplikationen. Neben therapiebedingter Schwerhörigkeit, Nierenversagen oder Nervenschäden, klagen Patienten über Verlust von Leistungsfähigkeit und körperlicher Fitness - eine weitere Parallele zu COVID-19. 

 

Wie wird Tuberkulose behandelt?

Gegen die sensible TB geben wir zwei Monate lang vier, dann vier Monate lang zwei Antibiotika. Bei MDR-TB werden anfangs bis zu sieben Antibiotika kombiniert. Die Patienten erhalten über mindestens neun, meist aber 15 bis 24 Monate ihre Therapie und haben an deren Ende gut 15.000 Tabletten geschluckt.

Diese sind mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Die TB-Therapie ist für die Betroffenen besonders belastend, weil sie sie wegen der Infektionsgefahr über Monate allein und in Isolation durchstehen müssen. Neue Medikamente, wie die 2014 zugelassenen Antituberkulotika Bedaquilin und Delamanid, das kurz vor Zulassung stehende Pretonamid oder das in Deutschland mitentwickelte TMC207, das sich noch in klinischen Studien bewähren muss, geben Hoffnung auf verbesserte Therapieregime. Wie zerbrechlich diese Hoffnung ist, zeigte aber bereits der weltweit erste Fall mit Resistenzen sowohl gegen Bedaquilin als auch gegen Delamanid, den wir in Gauting bereits zwei Jahre nach Zulassung der Medikamente berichtet hatten (Am J Respir Crit Care Med 2016;193:337).

 

Mit welchen Herausforderungen sind Sie im Kampf gegen die Tuberkulose insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern konfrontiert?

Aktuell ist die größte Herausforderung fraglos die COVID-19 Pandemie. Ist sie erst einmal überwunden, treten die beiden Hauptherausforderungen wieder stärker in den Vordergrund, die schon vor der Pandemie bestanden: Die zunehmende Multiresistenz gegen Antibiotika und die Koinfektion mit HIV. (Multi-) Resistenzen nehmen insbesondere in Osteuropa, Russland, Zentralasien, China, Nepal und Indien, aber auch in Südafrika zu. Die HIV/AIDS-Co-Epidemie, also das gemeinsame Auftreten von Tuberkulose und HIV/AIDS, spielt in Afrika und Südamerika die größte Rolle.

Weltweit wachsende Migrationsbewegungen stellen die öffentlichen Gesundheitsdienste vor die Herausforderung, Ankömmlinge schnell zu erfassen, zu diagnostizieren und zu therapieren. In Deutschland ist das Gesundheitssystem dafür sehr gut gerüstet. Nach Asylverfahrensgesetz werden alle Flüchtlinge und Asylsuchende sofort auf TB gescreent. Dank des vorbildlichen Infektionsschutzes durch unseren öffentlichen Gesundheitsdienst hat sich die Krankheit aber nie in der Bevölkerung ausgebreitet. Mit diesen Erfahrungen sind wir für jedwede Flüchtlings- oder Migrationswellen hervorragend vorbereitet. Ich bin mir sicher, dass die TB in Deutschland weiter unter Kontrolle bleiben wird, solange die Politik ihrer internationalen Bekämpfung einen ausreichend hohen Stellenwert einräumt.

 

Welche Rolle spielen Laboratorien bei der Tuberkulose-Kontrolle?

Eine ganz zentrale Rolle. Alles hängt davon ab, dass die Tuberkulose überhaupt und möglichst früh diagnostiziert wird. Hat ein Patient mit sensibler TB die ersten Medikamente erhalten, ist er sehr bald nicht mehr ansteckend.

Bei MDR- und XDR-TB dauert das zwar länger, der Patient wird aber durch eine frühe Therapie vor Folgeschäden und Komplikationen geschützt. In weniger entwickelten Ländern denken Ärzte zwar schnell an Tuberkulose, Laboratorien sind aber selten und oft weit entfernt. An solch basalen Herausforderungen kann die Diagnose bereits scheitern, Patienten verbreiten die Erreger dann weiter und erhalten erst eine wirksame Therapie, wenn die Lunge bereits nachhaltig geschädigt ist. Effektive Entwicklungszusammenarbeit im Kampf gegen die Tuberkulose bezieht deshalb immer die Stärkung bestehender und den Aufbau neuer Laboratoriumsnetzwerke mit ein.

 

SYNLAB Gauting ist ein WHO Supranationales Tuberkulose Referenzlabor. Wie unterstützen Sie den weltweiten Kampf gegen die TB?

Unser Institut ist seit über 30 Jahren ein verlässlicher Partner der Laboratoriumsdiagnostik in Hochprävalenzländern. Wir helfen den Landesregierungen, Laborkapazität und -netzwerke auszubauen, veraltete Techniken durch moderne PCR-Verfahren zu ersetzen, Logistik- und digitale Datenmanagement-Systeme zu etablieren. Ärztinnen und Ärzte erhalten dadurch schneller verlässliche Befunde und können früher wirksame Therapien einleiten, Infektionsketten unterbrechen und Komplikationen verhindern.

 

Können Sie uns dazu ein konkretes Beispiel nennen?

Natürlich. In vielen Regionen der Welt wird die TB noch mit Hilfe herkömmlicher Mikroskope diagnostiziert. Unter optimalen Bedingungen lassen sich damit maximal die Hälfte aller TB Fälle finden. Im Vergleich: Die PCR erkennt gut 80 Prozent. Wir helfen, PCR-Labornetzwerke aufzubauen, Personal entsprechend auszubilden und Qualitätssicherungssysteme einzuführen.

 

Können Sie bereits konkrete Erfolge Ihrer Arbeit vermelden?

Durchaus! 2006 haben wir im Auftrag der Bundesregierung geholfen, ein Sicherheitslabor der zweithöchsten Stufe als Nationales Referenzlabor für Usbekistan zu planen und zu bauen. Wir haben das Laborteam in den modernen Laborverfahren ausgebildet und ein Qualitätsmanagementsystem eingeführt. Der Erfolgt hat das Interesse in den Nachbarstaaten geweckt. Mittlerweile haben alle Zentralasiatischen Republiken mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung und unserem Know-How Nationale Referenzlaboratorien derselben Sicherheitsstufe zur TB-Diagnostik gebaut.

In Kirgistan steht eines der modernsten TB-Laboratorien Asiens. Es wurde in Gauting geplant, in Cadolzburg vorgefertigt, in sieben Modulen nach Kirgistan transportiert und dort aufgebaut. Zudem haben wir im Labor in Kirgistan kürzlich Next Generation Sequencing eingeführt. Diese Technologie wird auch im Kampf gegen COVID-19 verwendet, um Virus-Genome zu entschlüsseln und mögliche Variants of Concerns zuzuordnen. In gleicher Weise kann das kirgisische NRL mit der Technologie jetzt das gut 100x größere Genom der Tuberkulosebakterien entschlüsseln und frühzeitig besorgniserregende Varianten und Resistenzen erkennen. So kann das Gesundheitssystem sofort reagieren. Zusammen mit unseren kirgisischen Partnern haben wir das NGS in zwei wichtigen Studien genutzt, die Transmissionswege der TB in Kirgistan zu analysieren.

 

Wie wird sich der Kampf gegen Tuberkulose dann in der Zukunft fortsetzen?

Jetzt, wo unsere Partnerländer ihre Labor- und Testsysteme auf den neuesten Stand gebracht haben, sind modernes Datenmanagement und verbesserte Probenlogistik die Schlüssel zu schnellerer und professionellerer Diagnostik. Hier kann die SYNLAB mit ihrer reichhaltigen Erfahrung viel zur Verbesserung beitragen.

Modernste Technologien wie das zuvor genannte Next Generation Sequencing müssen allen Hochprävalenzländern zugänglich gemacht werden und gemäß der aktuellen WHO-Empfehlungen als integrale Bestandteile der TB Diagnostik genutzt werden.

Die Forschung muss sich auf die Entwicklung noch schnellerer und günstigerer Diagnostikverfahren, immer neuer Antituberkulotika und wirksamer Impfstoffe konzentrieren. Diese drei - insbesondere aber der Impfstoff – sind die echten „gamechangers“ im weltweiten Kampf gegen TB.

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    Dr. med. Harald Hoffmann
    Ärztliche Leitung
    Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie

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